2. Symposium „Jugend und gesellschaftliche Verantwortung – Zu viel(e) System(e) am Übergang Schule/Beruf?“
← Zurück zur ÜbersichtTrotz des demographischen Wandels gibt es heute immer noch zahlreiche Jugendliche, die benachteiligt sind und auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen haben. Der Förderbedarf dieser Gruppe ist hoch, besonders im Übergang Schule und Beruf.
Bielefeld, 4. Mai 2011. Gut 100 Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, anderer Bildungsträger, Rege und der Agentur für Arbeit konnte Brigitte Reckmann, Vorsitzende des BAJ, jetzt im Jugendgästehaus begrüßen. „Wir müssen hinterfragen, ob einerseits die Lösungsangebote geeignet sind, um die Probleme der jungen Menschen zu lösen und es andererseits zu viele Systeme am Markt gibt “, sagte Brigitte Reckmann in ihrer Begrüßung. Sie sei froh, dass das Interesse an diesem Thema besonders groß ist und viele Fachleute der Einladung des BAJ, der wie Reckmann sagt „die Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Sachen Jugendlicher“ ist, gefolgt sind. „Denn als Erwachsene tragen wir die Hauptverantwortung für die Jugendlichen“, erklärte sie.
Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Dieter Timmermann von der Universität Bielefeld referierte über die Folgen des demographischen Wandels auf die beruflichen Vollzeitbildungsgänge, das dualen Systems der Berufsausbildung und das Übergangssystem. Seit Mitte der 90er Jahre habe das Übergangssystem eine mächtige Rolle im Ausbildungssystem eingenommen, so Timmermann und das Bundesland NRW habe einen relativ hohen Anteil an Jugendlichen im Übergangssystem. Zur demographischen Entwicklung sagte der Erziehungswissenschaftler, dass es zum einen in Deutschland ein Abwanderungssaldo gebe, andererseits bereits jetzt die Diskussion um den Fachkräftebedarf bestehe. Insgesamt werde es ein geringeres Arbeitskräfteangebot und einen relativ ausgeglichenen Ausbildungsmarkt geben. Die Nachfrage im Übergangssystem werde sinken, so die Prognosen von Professor Timmermann. Aber „man wird sich dann nicht beruhigt zurücklehnen können, 2025 wird immer noch eine 6-stellige Zahl an Jugendlichen zu versorgen sein,“ sagte der Professor, und „der demographische Wandel löst das Problem nicht.“ Die Politiker seien gefragt, die Situation zu beobachten, denn „Deutschland kann es sich nicht erlauben, so viele arbeitslose Jugendliche zu haben,“ lautete Timmermanns Aussage.
Prof. Dr. Katharina Gröning von der Universität Bielefeld blickte unter anderem auf die Arbeitsbedingungen der Pädagogen. „Die Arbeit der Pädagogen ist unter dem Einfluss des Wettbewerbs in der Jugendberufshilfe anders geworden, die eigentliche Arbeit hat darunter gelitten“, sagte Gröning. Es gebe oft nur noch befristete Arbeitsverträge, der psychische Druck sei gestiegen, es komme immer häufiger zu Fehlzeiten. Professorin Gröning spricht vom Arbeitskraftunternehmer, der immer mehr mit „verdeckter“ Arbeit zu tun habe. „Akquise und Qualitätssicherung rücken immer mehr in den Vordergrund, die Arbeit mit den Jugendlichen leidet darunter“, so die Professorin für Erziehungswissenschaften. Und die hohe Zunahme des Wettbewerbs in der Jugendberufshilfe habe zu einer erhöhten Unsicherheit unter den Pädagogen geführt und habe somit eine verminderte Qualität ihrer Arbeit zur Folge. „Ich appelliere daran, dass die Bedingungen für Pädagogen besser werden“, lautete ihr Fazit.
Prof. Dr. Holger Ziegler von der Universität Bielefeld ging auf die Wirkungsorientierung in der Jugendhilfe und Jugendberufshilfe ein. Grundsätzlich vertrat er die These, dass das deutsche duale Ausbildungssystem im europäischen Vergleich gut ist. In seinem Referat beleuchtete er jedoch die Problematik der Messung der Wirkung der Sozialarbeit. Die Wirkungsorientierung in der Jugendhilfe müsse ernst genommen werden. Professor Ziegler betonte eine notwendige Wiederentdeckung der Wirksamkeit von Professionalität in der Jugendarbeit. Die Arbeit dürfe nicht zu sehr strukturiert sein, sondern es müsse auch einen Spielraum realer Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten geben, so der Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Bielefeld.
Den Vorträgen schloss sich eine rege Diskussion des Fachpublikums an. Dabei überwog die Meinung, dass die gegenwärtigen Rahmenbedingungen eine professionelle Unterstützung Jugendlicher oft nicht mehr fördern. Ein Grundrezept zur Lösung dieses Problems hatten aber weder die Referenten noch das zahlreiche Publikum. Das Spannungsverhältnis zwischen den Polen „Wirtschaftlichkeit“ und „professionelle Bedingungen für eine erfolgreiche Arbeit“ ließ sich im Rahmen dieses Symposiums nicht auflösen.
Das 2. Symposium hat sich thematisch der Problemanalyse gewidmet. Der wissenschaftliche Beirat des Vereins BAJ plant eine Folgeveranstaltung, die sich mit möglichen Lösungsansätzen beschäftigt.
Vortragsthemen und Referenten
- Was folgt aus dem demografischen Wandel für die beruflichen Vollzeitbildungsgänge, das duale System der Berufsausbildung und insbesondere für das Übergangssystem? (Prof. Dr. Dieter Timmermann, ehem. Rektor der Universität Bielefeld) Download
- Angstphänomene in Teams und Gruppen der Jugendberufshilfe und sozialen Arbeit – die andere Seite der Modernisierung des Übergangssystems (Prof. Dr. Katharina Gröning, Universität Bielefeld) Download
- Wirkungsorientierung in der Jugendhilfe und Jugendberufshilfe (Prof. Dr. Holger Ziegler, Universität Bielefeld) Download